Gesangverein Weil 1836 e.V. - Turnverein Weil 1884 e.V. - Stadtmusik Weil am Rhein Neujahrsempfang in Altweil am 10. Januar 2009 Festrede
zum Thema
"Entstehung von Vereinen im 19. Jahrhundert im alten Weil"
Sehr geehrte Festgäste Alle guten Dinge sind drei! Ganz nach
diesem Motto möchte ich auch die Vorsitzenden der drei Weiler Traditionsvereine
begrüßen: vielen Dank
für die Einladung. Und da man bekanntlich die Feste feiern soll wie sie fallen, werden wir das heute und im Laufe des Jahres gebührend tun. Die Vereine waren und sind wichtige Kulturträger und dürfen mit Recht stolz darauf sein, was sie in den vergangenen beiden Jahrhunderten geleistet haben. Ich persönlich möchte dazu meine Anerkennung und meine Glückwünsche aussprechen - auch im Namen der Weiler Stadtführerinnen und Stadtführer. Doch was
wir als selbstverständlich hinnehmen, war nicht immer so. Ich möchte
mit Ihnen gemeinsam Auszüge der Weiler Geschichte von 1800 bis 1900
Revue passie-ren lassen und aufzeigen, in welcher Zeit die ersten Vereinsgründungen
im alten Weil erfolgten. Die Geschichte der Traditionsvereine ist folglich
eng verknüpft mit der Ortsgeschichte von Weil. Viele Sor-gen und
Nöte von damals unterschieden sich allerdings nicht wesentlich von
den heutigen. Themen wie Feuerwehr, Schulneubau, Brückenbau und Eisenbahn
waren schon im vorletzten Jahrhundert Gegenstand von umfassenden Diskussionen.
Während der Wintermonate kamen in jener Zeit die Weiler zusammen, um sich um eine gemeinsame Lichtquelle zu setzen, und dabei gemeinsam zu handarbeiten, zu werkeln, zu diskutieren sowie Wissen und Geschichten auszutauschen, was man "z'Liecht goh" nannte. Gerne haben die jungen Män-ner Gespenstergeschichten erzählt, um hinterher die verängstigten jungen Damen nach Hause beglei-ten zu dürfen. Waren noch um 1800 rund 15 % der Kranken in den umliegenden Krankenhäusern an Malaria er-krankt, veränderte die Tulla'sche Rheinkorrektur das Leben am Rhein nachhaltig. Der Charakter der einst kilometerbreiten Flusslandschaft wandelte sich entscheidend. Aus der kleinen badischen Markgrafschaft war Anfang des 19. Jahrhunderts ein Großherzogtum geworden, mit einer Verfassung, durch die die Bevölkerung erstmals die Möglichkeit zur politischen Mitbestimmung bekam. Man befand sich inmitten eines großen politischen aber auch sozialen Umwälzungsprozesses. Weit weg von Weil fand 1811 die Einweihung des ersten deutschen Turnplatzes auf der Hasenheide in Berlin statt. Initiator war Friedrich Ludwig Jahn, genannt Turnvater Jahn, der damit die deutsche Turnbewegung ins Leben rief und Auslöser für unzählige Vereinsgründungen war. Er erfand die Turngeräte Barren und Reck. Der Begriff "Turnen", der für vielseitige Leibesübungen wie Laufen, Werfen, Springen und Turnen an Geräten stand, wurde von ihm geprägt und eingeführt. In Weil waren indes unruhige Zeiten. Als dann 1815 die endgültige Schleifung der Hüninger Festung in Friedlingen erfolgte, waren die Weiler Bürger sehr erleichtert. Doch mussten sie erst einmal die folgenden Hungerjahre 1816/1817 überstehen. Sie forderten auch in Weil zahlreiche Todesopfer. Die Finanzen der Gemeinde waren zerrüttet, die Felder und der Weinberg verwüstet. Zu dieser Zeit (1817) stellte der badische Forstmeister Karl Freiherr Drais von Sauerbronn die von ihm erfundene einspurige Laufmaschine in Mannheim der Öffentlichkeit vor. Das Zweirad, auf dem man sitzen konnte und sich mit den Füßen vom Boden abstoßend fortbewegte, wurde unter dem Namen Draisine weltberühmt. Es handelte sich um den Vorläufer des Fahrrads. Und obwohl im 19. Jahrhun-dert Wissenschaftler vor den Folgen des Fahrradfahrens warnten - sie waren der Ansicht, dass der Fahrtwind das Gesicht der Radler verforme, wurden in ganz Deutschland Radsportvereine gegründet - so auch in Weil, allerdings erst viel später. Die Urgroßmutter von Karl Drais, Anna Margaretha Drais (1647-1716), wohnte übrigens einige Zeit in Weil. Sie war einmal Besitzerin des Meierhofes im Müh-lenrain. Alles war im Aufbruch. Auch die Musikkultur erfuhr einen großen Wandel. Das Bürgertum hatte sich als hauptsächlicher Träger des Musiklebens etabliert und wie in anderen gesellschaftlichen Bereichen, Adel und Kirche aus dieser Funktion verdrängt. Träger der neuen bürgerlichen Musikkultur waren fortan die zahlreichen Musikgesellschaften, Konzert- und Gesangvereinigungen, die auch in kleineren Städten und Dörfern gegründet wurden. Während zuvor die Komponisten in aller Regel bei Hof oder Kirche angestellt waren, stand nun der Komponist meist nicht mehr in einem engen Abhängigkeitsver-hältnis. Ein freies Künstlertum bildete sich heraus. Sänger der stetig wachsenden Zahl von Chören mussten nicht mehr über eine umfassende musikalische Ausbildung verfügen. Als dann Anfang des 19. Jahrhunderts unzählige Chorvereinigungen in Deutschland entstanden, wurde auf Anregung vom damaligen Pfarrer Hoyer und dem Hilfslehrer Schilling 1836 auch in Weil ein Gesangverein gegründet. Der Gesangverein 1836 war somit der erste Weiler Verein und ist heute noch der älteste Verein der Weiler Geschichte. Er zählte anfangs nur wenige Mitglieder, die ihre Sing-stunden gewöhnlich am Sonntag vor dem Vormittagsgottesdienst abhielten. Seinerzeit war zum Abhalten von Vereinsanlässen wie Konzerte oder Tanzveranstaltungen eine kir-chenbehördliche Genehmigung erforderlich. Da diese oft nicht erteilt wurde, hielt der Verein seine Konzerte gerne im nahe gelegen Riehen ab. Bei einer solchen Veranstaltung gab es einmal einen nassen Heimweg. Die Matten, durch die der Weg von Riehen her führte, waren überschwemmt. Da-mals bildete die Wiese noch zahlreiche Nebenarme und über den Wiesefluss führte noch keine feste Brücke, sondern nur ein schwankender Steg. Da luden die wackeren Sänger ihre Eheliebsten und was sonst noch an weiblicher Begleitung dabei war auf den Rücken und trugen die schöne Last unter Geschrei und Gejohle aufs trockene Land. Wohl von der Wandlung in der Musikkultur und dem aufregenden Vereinsleben des Weiler Gesang-vereins inspiriert, ging 1839 aus der von Johann Jakob Kaufmann gegründeten türkischen Musik, der Musikverein und die spätere Harmoniemusik hervor, die seit der Stadterhebung im Jahre 1929 "Stadtmusik Weil am Rhein" genannt wird. Doch außer Gesang und Musik beschäftigte die Weiler das Thema Schule immer wieder in besonde-rem Maße. Als eine
neue Lehrstelle an der Schule in Weil zu besetzen war, erachtete es das
Lörracher Oberamt für zweckmäßig, das Ministerium
in Karlsruhe auf die Charaktereigentümlichkeit der Weiler aufmerk-sam
zu machen. Im August 1840 gab es in der Sache folgenden wörtlichen
Bericht ab: Ob die Stelle jemals besetzt wurde, steht nicht fest. Fest steht allerdings, dass 5 Jahre später, im Jah-re 1845 für inzwischen etwa 200 Schüler ein prächtiges neues Schulhaus mit zwei geräumigen Schul-sälen und Lehrerwohnungen auf dem Kirchplatz gebaut wurde. Im selben Jahr (1845) erschien erstmals der Oberländer Bote. Von da an wurden für Lebertran, Lam-penschirme und, neben Ballkrawatten und Ballstrümpfen, auch für Glacé-Handschuhe in Zeitungsan-noncen geworben. Knechte und Dienstmädchen wurden auf diesem Wege gesucht, Entmündigungen von Personen öffentlich bekannt gegeben und Pferde- und Viehmärkte angekündigt. Generalagentu-ren für Auswanderer annoncierten ebenso, wie die Veranstalter für Gesellschaftsabende in den Casi-nos von Lörrach und Basel mit Musik und Tanz. Drei Jahre
später, im September 1848, berichtete dieser Oberländer Bote
von dem tragischen Ereig-nis im Revolutionsjahr, dass fünf von sieben
Mitgliedern der Weiler Musik, die sich den Struwe'schen Freischaren angeschlossen
hatten, in Staufen erschossen wurden. Von freudigeren
Ereignissen kann man im Jahre 1850 lesen: Die Weiler ließen es sich schon immer gerne gut gehen und so hieß es auch gelegentlich einer Ortsbesichtigung des damaligen Pfarrers Dorn im Jahre 1851, dass die Einwohner wohl etwas genuss-süchtig, dabei aber intelligent, entschlossen, tatkräftig, sparsam und überaus fleißig seien und dabei Musik und Gesang liebten. Wenn es dann mit der Musik und dem Gesang bis in die Nacht hinein dauerte, sorgten die Weiler Nachtwächter für Ruhe, die noch bis um Mitte des 19. Jahrhunderts, im inzwischen 1.400 Einwohner zählenden Dorf, umhergingen und mit den bekannten Hebel'schen Versen die Stunden der Nacht bekannt gaben. Einen neuen
Zeitabschnitt für Weil und die gesamte Umgebung markierte der 1855
aufgenommene öffentliche Bahnbetrieb auf der Leopoldshöhe. Schon ein
Jahr später gab es in Weil wieder ein Großereignis zu feiern.
Zum Jahreswechsel 1861 auf 1862 wurde die lang ersehnte feste Wiesenbrücke
zwischen Weil und Riehen eingeweiht. Dies war wieder Anlass für ein
Fest, wie es in Weil bis dahin noch nie gesehen und erlebt wurde. Die
ganze Bevölkerung und auch die Weiler Vereine nahmen regen Anteil
daran. Die Weiler gerieten in einen regelrechten Freudentaumel - waren
außer Rand und Band und konnten gar nicht genug feiern. Allerdings
taten die Basler kurz darauf in den Basler Nachrichten ihren Unmut über
den Weiler Redner, den Pfarrer Ludwig Dorn kund. Sie erwähnten dabei,
dass während der offiziellen Rede einige unpas-sende Bemerkungen
und Verdächtigungen gegen Basel und seine Angehörigen nicht
unterdrückt worden seien. Drei Jahre später, im Jahr 1865, wurde ein weiterer Weiler Verein gegründet: die Freiwillige Feuer-wehr. Sie umfasste drei Abteilungen mit 50 Feuerwehrleuten. Jedes Mitglied hatte für Anschaffungen einen Monatsbeitrag von 12 Kreuzern zu entrichten und musste die Feuerwehrjacke selbst kaufen. Die junge Truppe, deren Disziplin ausgezeichnet war, konnte schon wenige Monate nach ihrer Gründung bei Bränden in Basel und Riehen ihr Können beweisen - 14 Jahre später wurde das lang ersehnte Spritzenhaus gebaut. Kurz darauf wurde auch ein weiterer Schulneubau aufgrund der stetig wachsenden Schülerzahlen zwingend notwendig. Eine Vergrößerung des bestehenden Schulgebäudes auf dem Kirchplatz war wegen der räumlichen Einengung ausgeschlossen. Der Rat beschloss daher, ein neues Schulhaus auf einem geräumigen Platz an der Hinterdorfstraße auszuführen - am 15. Mai 1880 wurde die He-belschule ihrer Bestimmung übergeben. So konnte die Gemeindeverwaltung von der "Krone" in die frei gewordenen Räume des alten Schulhauses auf dem Kirchplatz umziehen. Zur gleichen Zeit etwa siedelte sich in Friedlingen die Textilindustrie an, in der auch viele Weiler Arbeit fanden. Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts entwickelte sich Sport zu einer Massenbewegung, die alle Bevölkerungsschichten erreichte. Auch in
Weil fanden sich 1884 einige Beherzte und gründeten einen Turnverein. Im Gegensatz zum Turnverein war der Weiler Musikverein inzwischen längst etabliert und umrahmte immer wieder offizielle Festlichkeiten mit einem Musikprogramm. So auch im Jahre 1890. Als die stra-tegische Bahn (von 1878, die von der Leopoldshöhe nach St. Ludwig führte) von der Leopoldshöhe über Weil nach Lörrach weitergeführt und diese Linie mit Tunnel und zusätzlicher Bahnstation einge-weiht wurde. Als Großherzog Friedrich von Baden, der auch unter den geladenen Gästen war, in Weil einfuhr, spielte die Weiler Musik beim Bahnübergang an der Hauptstraße den "Luisenmarsch", wel-cher der Großherzog besonders gern hörte. Ebenfalls
im Jahre 1890 war in Weil ein Leseverein entstanden, nachdem 10 Jahre
zuvor bereits auf der Leopoldshöhe ein solcher gegründet worden
war. Vorstand war Posthalter Wilhelm Meckes. Die Mitglieder waren hauptsächlich
Beamtenfamilien von Zoll, Eisenbahn und Post. Mitte der 1890er Jahre erhielt der Oberländer Bote Konkurrenz durch das Oberbadische Volksblatt und zur großen Erleichterung der Weiler Hausfrauen wurden die Haushalte nach und nach an die neue Wasserleitung angeschlossen. Ebenso erfolgte eine weitere Vereinsgründung: der Weiler Schützenverein, den die Weiler liebevoll "Zimmerstutzenverein" nannten, begann unter Jagdaufseher Kimmer mit seinen Aktivitäten. Beim Preisschießen gab es unter anderem Liegestühle, silberne Kaf-feelöffel, leinene Servietten oder ein Tranchierbesteck zu gewinnen. Gerne traf man sich zu geselligen Abenden im Schützenhäuschen, das hinter dem Gasthaus "Zur Sonne" stand. Dann und wann gab es auch Dachspfeffer, der von der Sonne-Wirtin zubereitet wurde. Von einem weiteren Verein - dem gemischten Chor "Frohsinn" - lesen wir in der Tschamber/ Keller- Chronik: da heißt es, dass Emil Kaufmann unter anderem deren Leitung im Jahre 1896 übernommen hatte. Wann dieser gemischte Chor "Frohsinn" gegründet wurde, geht daraus nicht hervor. Und wieder
gab es in Weil etwas Erstmaliges: 2 Jahre vor dem Jahrhundertwechsel (1898)
- man legte noch großen Wert auf strenge Etikette - wurde von Emil
Kaufmann der erste Tanzkurs abgehalten, der viele Folgekurse nach sich
zog und die Weiler Jugend wie deren Eltern restlos begeisterte - wussten
sie doch fortan, sich in feinen Gesellschaften zu bewegen. Live-Darbietungen von Musik wie Salonorchester und Pianisten in Stummfilmkinos waren noch alltäglich, technisch vermittelte Musik mit elektrischen Automaten und Grammophon dagegen noch etwas Besonderes. Frauensport
galt immer noch als Gefahr für die Moral, die weibliche Schönheit
und die Gesundheit.
Auch in Weil fand das Fahrradfahren immer größeren Zuspruch und so gründeten einige Weiler 1903 den "Allgemeinen Radfahrer-Verein Weil". Doch da beginnt bereits das 20. Jahrhundert, über das ich Ihnen vielleicht ein anderes Mal erzählen werde. Kehren wir wieder in die Gegenwart - ins 21. Jahrhundert - zurück. Heute zählen wir in Weil am Rhein rund 240 Vereine. Viele Bürger sind Mitglied in einem oder gar mehreren Vereinen, wo sie sich aktiv für die Gemeinschaft engagieren oder den Verein als Passiv-Mitglied unterstützen. Immer noch - und mehr denn je - ist das Vereinsleben hochaktuell und bedeutend - zeigt sich die ungeheure Kraft und Wichtigkeit des Vereinslebens für unsere Gesellschaft - gestern wie heute. All den Menschen, die sich in den letzten 170 bzw. 125 Jahren eingebracht haben, nicht nur für die Musik oder den Sport selbst, sondern sich auch anderen Themen annahmen, und all denen, die sich für die künftigen Generationen einsetzen werden, gilt unser aller Hochachtung. Der Stadtmusik und dem Turnverein gratuliere ich nochmals herzlich, wünsche aber allen drei Traditi-onsvereinen weiterhin eine kontinuierliche und erfolgreiche Entwicklung und eine glückliche Zukunft. Noch viele gute Stunden bei sportlichen, musikalischen und gesellschaftlichen Ereignissen und vor allem weiterhin wunderbare zwischenmenschliche Begegnungen. Ich möchte mit einem Zitat von einem unbekannten Autor schließen, das dem Erfolgsrezept aller drei Weiler Traditionsvereine wohl entspricht: Nicht was der Zeit widersteht, ist dauerhaft, sondern was sich klugerweise mit ihr ändert. Vielen Dank
für Ihre Aufmerksamkeit |