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Gesangverein Weil 1836 e.V. - Turnverein Weil 1884 e.V. - Stadtmusik Weil am Rhein

Neujahrsempfang der Altweiler Traditionsvereine am 9. Januar 2006


Festrede zu 170 Jahren Gesangverein Weil 1836 e.V. - Zwischen Tradition und Zukunft


Jan Merk

Historiker, in Basel geboren und in Tüllingen aufgewachsen,
nach wissenschaftlichen Tätigkeiten an historischen Instituten und
Museen in Berlin, Freiburg, Basel, Lörrach/Stuttgart und Mosbach am Neckar
seit Ende 2002 Leiter des Markgräfler Museums Müllheim
(und der Geschichte der Altweiler Traditionsvereine seit 7 Jahren verbunden)

 

Sehr geehrter Herr Ernst, sehr geehrte Vereinsvorsitzende,
sehr geehrte Frau Ruf, sehr geehrter Herr OB Dietz, meine sehr geehrten Festgäste!


"der Chorgesang steht vor dem Ende", "den klassischen Männergesangverein gibt es schon bald nicht mehr", "Gesangvereine sterben aus" heißt es einerseits. "Singen macht Spaß und ist gesund", "Singen braucht einen festen Platz in der Schule", "Singen hat Zukunft" heißt es andererseits.

So gegensätzlich lauten derzeit landauf, landab die Schlagzeilen, wenn es um die öffentliche Diskussion über Gesangvereine und Chöre geht. Und diese Diskussion gibt auch manche Stichpunkte, wenn man eine Betrachtung zu 170 Jahren Geschichte des Gesangvereins Weil 1836 e.V. nicht nur rückwärtsgewandt betreiben will. Eine langatmige Chronik, so interessant sie wäre, ist zu einem stolzen, aber eben auch ungeraden Jubiläum wie dem "170." nicht angezeigt. Viele wichtige Einzelereignisse, viele schöne Konzerte, viele wertvolle Begegnungen, viele Namen verdienter Mitglieder und Verantwortungsträger können in knappen 20 Minuten nicht erwähnt werden. Stattdessen lohnt vielleicht ein kurzes Innehalten, ein gemeinsames Nachdenken darüber: was war der Gesangverein Weil in seiner bisherigen Geschichte, was ist er heute, was kann er in Zukunft sein?

Gründung in einer Umbruchzeit

Zunächst einmal: der Gesangverein Weil 1836 e.V. ist seit 170 Jahren ein wichtiger Kulturträger und aus dem kulturellen Leben der Gemeinde Weil und später der Stadt Weil am Rhein nicht wegzudenken. Hunderte von Sängerinnen und Sängern haben Konzerte und Auftritte mitgestaltet, zusammen mit engagierten Vorständen und Chorleitern Preise und Ehrungen "ersungen".

Er ist der älteste Weiler Verein, gegründet in einer spannenden, selbstbewussten, aber auch von Unsicherheiten über die Zukunft geprägten Umbruchzeit, dem Vormärz - zwischen der traditionellen, agrarisch geprägten, kirchlich mitbestimmten Ständegesellschaft und der neu entstehenden, modernen, säkularisierten, bürgerlichen Industriegesellschaft. Vertreter der alten und der neuen Zeit machten sich damals, 1836, in Weil daran, einen Verein - etwas völlig neues - zu gründen. Die Vertreter der alten Autoritäten, Kirche und Staat, gaben die Anregung: der Weiler Ortsgeistliche Pfarrer Hoyer und der Hilfsschullehrer Schilling. Die Vertreter der neuen Zeit, die Bürger, schritten zur Tat: die Vereinsgründer Ludin-Adler, Jakob Brunner-Welterlin und Marx Raupp.

"Geist und Gemüt und auch das Schönere und Höhere zu beleben, sowie dem ersehnten Bedürfnis nach Verschönerung des Kirchengesangs nachzuleben" war das erklärte Ziel. Die Anbindung an die Kirche war eng, die Singstunden wurden in der Regel vor dem sonntäglichen Gottesdienst abgehalten. In einem handgeschriebenen Liederbuch des Johann Philipp Bertsch aus dem Jahr 1838 sind geistliche Gesänge zahlreich vertreten. Trotz der unermüdlichen Arbeit der Vereinsgründer blieb die Mitgliederzahl zunächst gering. Die Skepsis im Ort muss groß gewesen sein. Vielen Menschen erschien damals die Vorstellung als vollkommen irrsinnig, das Bürger aus freien Stücken sich zusammenschlossen, um in der wenigen freien Zeit, zur Unterhaltung, Gesang und weltliche Musik zu pflegen. In ihrem damaligen Traditionsverständnis gehörte Gesang in die Kirche, und damit war zugleich klar, was gute, sinnvolle und erlaubte Musik war und was nicht: kirchliche Musik entsprach der Überlieferung, populäre Weisen oder gar freiheitliche und patriotische Lieder waren suspekt.

Das führte auch zu ersten kleineren Konflikten im Verein. Wenn neben Kirchenmusik auch andere Vereinsanlässe wie Bälle oder Konzerte geplant wurden, war eine kirchenbehördliche Genehmigung notwendig. Anfangs wurde dies von der Weiler Ortskirche sehr restriktiv gehandhabt, die Genehmigung blieb oft aus. Doch die Vereinsmitglieder wussten sich zu helfen: sie wichen mit ihren nicht genehmigten geselligen Veranstaltungen kurzerhand über die Grenze in das Gasthaus "Zum Rössli" nach Riehen in die damals sehr viel liberalere Schweiz aus - und zogen in der Nacht singend über die Matten bei der Wiese wieder nach Hause.

Interessant für uns heute ist an dieser Anekdote, dass schon damals, schon bei der Gründung des Vereins in einer Umbruchzeit, die Verantwortlichen vor der Frage standen: wie kann man Tradition, Gegenwart und Zukunft miteinander verbinden? Und die Vereinsgründer, ihre Vorgänger, gehörten zu den "Erneuerern", die den jahrhundertealten, traditionellen Chorgesang mit neuen Gesangsformen für die breite Bevölkerung auch zu weltlichen Anlässen außerhalb des Gottesdienstes öffneten.

Die Zukunft, das war damals zum Beispiel das wachsende Selbstbewusstsein der Bürger. An kleinen Beispielen aus der Vereinsgeschichte wird dieser Mentalitätswandel vom gehorsamen, lebenslang durch Geburt an seinen Platz gestellten Untertan zum freien, selbst bestimmten Bürger deutlich. Etwa als ein Jahrzehnt nach der Niederschlagung der badischen Revolution von 1848/49, in der viele bürgerliche Vereine für mehr Beteiligungsrechte des Volkes stritten, der Gesangverein Weil nach der angeordneten Auflösung wieder zugelassen war: Schnell hatte er bereits 1858 wieder 61 aktive Mitglieder. Und diese nahmen es mit der umfassenden staatlichen Kontrolle und Reglementierung nicht immer allzu genau. Die Vereinschronik berichtet: "Im Jahr 1862 genügte ein Ständchen, das man ohne behördliche Erlaubnis dem Aktivmitglied und zeitweiligen Dirigenten Duchillon darbrachte, um eine Anzeige beim Amtsgericht Lörrach zu bewirken. Die 30 Sänger zählende Schar wurde zu der damals hohen Strafe von 300 Gulden verurteilt. Die Sänger ließen sich jedoch nicht entmutigen, vielmehr zog der Gesangverein geschlossen vor das Gerichtsgebäude in Lörrach mit dem Lied "Nur nicht verzagt!" Nach zähen Verhandlungen gelang es, die Strafe auf insgesamt 90 Gulden - also 3 Gulden pro Sänger - zu ermäßigen."

Man stelle sich vor: heute würde der Gesangverein Weil 1836 sich gegen eine solche massive Repression seitens der Behörden zur Wehr setzen müssen, oder man stelle sich vor: heute würde er auch immer wieder aktuelle, auch politische Themen aufgreifen. Ein Chorgesang an den Gemeinderat vor den Haushaltsberatungen zur Vereinsförderung oder zur Musikschule ("nur nicht verzagt"), ein Ständchen zur Zollfreien in Basel, Anmerkungen in Liedform zum gemeinsamen Oberzentrum vor den Rathäusern in Weil am Rhein und Lörrach … Die Reihe ließe sich fortsetzen. Was deutlich wird bei diesem historisch-aktuellen Gedankenspiel, das ist, dass die Lieder, die der Gesangverein damals, in seinen ersten Gründungsjahrzehnten sang, Lieder waren, die unmittelbar etwas mit der Lebenswirklichkeit der neu entstehenden bürgerlichen Gesellschaft zu tun hatten. (Die Lieder des 19. Jahrhunderts besangen oft Zukunftsvisionen und Ideale, waren - wie es in einem zeitgenössischen Zitat heißt - auch "Lieder von einer besseren Welt".)

Auch innerhalb der Vereine machte sich dieses neue Lebensgefühl, dieser Freiheitsdrang und das gewachsene Selbstbewusstsein bemerkbar. Ein Problem, das sich durch die Geschichte aller Gesangvereine zieht, war und ist der unterschiedlich regelmäßige Probenbesuch. Bereits im 19. Jahrhundert führten Vereine, auch in Weil, Strafgebühren für unentschuldigtes Fernbleiben ein. Doch diese Disziplinarregelungen führten oft nur zu neuem Unfrieden und wurden meist schnell wieder abgeschafft. Eine zeitgenössische Quelle kommentierte damals: "Der Markgräfler Sänger beugt sich nicht unter Ausnahme-Gesetze. Frei und freiwillig, ohne Zwang, will er den Gesang pflegen - und auch genießen."

Entwicklung im 19. und 20. Jahrhundert

Nach 1860 kam es zu einem regelrechten Boom von Vereinsgründungen. Das 19. Jahrhundert war ein "vereinseliges" Jahrhundert. Vereine boten weit mehr als nur den reinen Vereinszweck: sie ersetzen, was wir heute an vielfältigen Freizeitangeboten haben, in einem. Auch der Gesangverein Weil bot Geselligkeit nach den Proben, das gemeinsame Viertele gönnte man sich auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten. Daneben wurden Theateraufführungen, Singspiele, Familienabende und sogar Sängerreisen nach Baden und in die Schweiz geboten. Dieser klassische Männergesangverein war das umfassende zweite Zuhause für viele seiner Mitglieder - und deren Familienangehörige.

Auch wenn die Frauen erst sehr viel später aktiv mitsangen, waren sie bei diesen geselligen Feierlichkeiten stets dabei: 1886 etwa stifteten Frauen und Jungfrauen zum 50. Vereinsjubiläum ein Trinkhorn, 1903 bestickten sie eine stattliche Vereinsfahne. Große Sängerfeste im Markgräflerland und in ganz Baden prägten diese Zeit. Da ich vom Markgräfler Museum Müllheim komme, habe ich auch ein wenig in den Müllheimer Gesangsvereinsakten geblättert, wo die Teilnahme an bestens organisierten Sängertagen in Weil und in Haltingen sehr lobend erwähnt wird. Zwischen 2000 und 10000 Menschen nahmen an solchen Großereignissen teil.
Und der Gesangverein Weil 1836 mischte oft aktiv mit. Er gehörte 1883 zu den neun Gründungsmitgliedern des Obermarkgräfler Sängerbundes und wurde später Mitglied des Badischen Sängerbundes und des Deutschen Sängerbundes, heute Deutscher Chorverband.

Eine kleine Anekdote, die Weil und Müllheim verbindet, muß ich aus dieser Zeit noch kurz erzählen. Beim Müllheimer Gesangvereinsfest 1865 kam ein stattlicher Überschuss von 467 Gulden und 26 Kreuzern zustande, der, wie es in der zeitgenössischen Quelle heißt, "den Grundstock zum Sparkassen-Guthaben" bildete. Später fusionierten bekanntlich die Bezirkssparkassen Weil und Müllheim, so dass die Markgräfler Sänger - auch die des Gesangvereins Weil 1836 - von sich sagen können, einen der Grundsteine zur Sparkasse Markgräflerland mitgelegt zu haben. (Vielleicht lässt sich diese geschichtliche Erkenntnis - der Aufsichtsratsvorsitzende, Herr OB Dietz, sitzt ja im Publikum - auch einmal beim Einwerben von Sponsoring-Geldern nutzbringend verwenden).

1870 erscholl, wie es in einem zeitgenössischen Text heißt, "die Kriegstrompete am Rhein, welche dem fröhlichen Sang ein Ende machte und den deutschen Sängern ernstere Pflichten auferlegte." Im Deutsch-französischen Krieg von 1870/71, im Ersten Weltkrieg 1914/1918 und im Zweiten Weltkrieg 1939/1945 waren von vielen Gesangvereinen nun verstärkt auch nationale und nationalistische Gesänge und Soldatenlieder zu hören. Zeitweise stellte der Gesangverein Weil wegen der vielen zum Militärdienst einberufenen Mitglieder seine Vereinsaktivitäten in den Kriegjahren auch ganz ein.

Doch zwischen den Kriegen wurden, bedingt durch die Offenheit im Dreiländereck, die Beziehungen vor allem zur Schweiz wieder aufgenommen. 1924 nahm der Verein am kantonalen Gesangsfest beider Basel in Allschwil teil, danach folgten Sängerfahrten nach Luzern und Lugano, 1931 Konzerte in Kleinhüningen und Riehen. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg entspannte sich nach und nach das mit vielen Vorurteilen von der angeblichen Erbfeindschaft belastete Verhältnis zu Frankreich. Auch hier trug der Gesangverein Weil 1836 seinen Teil zu einer positiven Entwicklung bei: den Anfang machten Konzerte 1964 in Hegenheim und 1965 in St. Louis im Elsaß, weitere Auftritte folgten, 1979 auch die Beteiligung bei der offiziellen Einweihung der Palmrainbrücke.

Bis dahin war es ein langer Weg gewesen, denn nach der Katastrophe des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkrieges wurde nach dem Einmarsch der französischen Truppen in Weil am Rhein am 24. April 1945 sämtlichen Vereinen jegliche Betätigung untersagt. Die Vereinschronik berichtet: "Im Frühjahr 1946 gestattete die Militärregierung die Bildung eines einzigen Gesangvereins, und so schlossen sich der Gesangverein Weil 1836 und der Gesangverein Frohsinn zur "Sängervereinigung" zusammen. Die Aktivitäten unterlagen noch starken Beschränkungen. Selbst bei der Auswahl des Liedgutes war darauf zu achten, dass keine "Vaterlandlieder" zum Vortrag kamen. Als im Frühjahr 1948 die Beschränkungen gelockert worden waren, verstärkte sich in Altweil der Wunsch, den Gesangverein wieder erstehen zu lassen. Eine entsprechende Unterschriftenaktion erbrachte 341 Ja-Stimmen. So konnte am 20. März 1948 nach schwierigen Verhandlungen der Gesangverein unter dem Namen "Gesangverein Alt-Weil in Weil am Rhein" neu gegründet werden. (Zum damaligen Zeitpunkt war es noch verboten, im Vereinsnamen ein Gründungsjahr zu führen. … Den heutigen Namen "Gesangverein Alt-Weil 1836 e.V." führt der Verein seit 1976 in Anlehnung an die alten Tradition, und weil zu diesem Zeitpunkt längst über die Grenzen Alt-Weils hinausgewachsen war.)"

Schnell hatte der Gesangverein in der Nachkriegszeit einen Aufschwung genommen und sich mit Konzerten, Gesangsfesten oder dem Winzerfest erneut einen Platz im kulturellen Leben der Stadt geschaffen. Auf Sängerfesten wurde der Verein mehrfach ausgezeichnet und etwa mit der Franz-Schubert-Plakette geehrt.

Als einen interessanten "Spiegel des Zeitgeistes" kann man das wechselnde Repertoire des Weiler Gesangvereins in seiner 170jährigen Geschichte begreifen. Das Liedgut ist eine spannende kulturgeschichtliche Quelle - mittlerweile gibt es ein eigenes Wissenschaftsgebiet, die Gesangbuchforschung. Ein Blick darauf macht zugleich deutlich, dass der Verein nichts Statisches, Unveränderbares war, sondern sich immer wieder weiterentwickelte und wandelte - stets im Versuch, seinen Grundzielen treu zu bleiben. Wir haben gesehen, dass bei der Gründung des Weiler Gesangvereins das geistliche Lied noch ganz im Vordergrund stand. Schnell kamen Lieder der bürgerlichen Gesellschaft hinzu, die den neuen bürgerlichen Alltag und die Geselligkeit, aber auch Freiheitsvorstellungen und das bürgerliche Selbstbewußtsein thematisierten. Etwas später gesellten sich auch patriotische, nationale, zuweilen nationalistische Lieder hinzu. Die Nachkriegszeit brachte eine Rückbesinnung auf die älteren Traditionen, auf das regionale Liedgut, und bald auch eine Öffnung des Repertoires. Heute wirbt der Verein auf seiner Internetseite mit der breiten Palette "vom Volkslied zum internationalen Musical, aber auch Klassik und geistlichen Liedern."

Die Feiern des 125jährigen Jubiläums 1961 mit über 2.000 Teilnehmern befreundeter Vereine, ausgerichtet zusammen mit der Sängervereinigung/Frohsinn 1911 Weil am Rhein, und des 150jährigen Jubiläums 1986 mit der Herausgabe der Festschrift und ebenfalls einem großen Sängertreffen standen noch ganz im Zeichen der klassischen Männergesangvereine. Doch seither hat sich die Situation der Gesangvereine verändert.

Herausforderungen der Zukunft

Der Gesangverein Weil 1836 hat sich den neuen Herausforderungen auf eine dreifache Weise gestellt. Er hat sich geöffnet, und er hat neue Kooperationen gesucht und gefunden. Aus dem traditionellen Männergesangverein wurde im Hernst 1993, nach längerer Diskussion, ein gemischter Chor. Die erste gemeinsame Probe von Frauen und Männern fand am 16. September 1993 statt.

Genauso wichtig wie dieser Schritt war der Entschluss, zunächst zusammen mit dem Eisenbahnergesangverein Weil einen Kinderchor zu gründen und später in alleiniger Regie weiterzuführen. Nach intensiver Werbung in Kindergärten und Schulen trafen sich die Kinder erstmals am 11. Januar 1996 (also vor fast genau 10 Jahren). Seither hat es viele begeisterte Auftritte und beigeisternde Musicals gegeben.

Ein dritter Schritt erfolgte, nachdem Chorleiter Karl Gehweiler auch die musikalische Leitung der Singgemeinschaft Lörrach 1984 e.V. übernommen hatte. Beide Vereine einigten sich darauf, gemeinsame Chorproben abzuhalten. Seit der ersten Probe am 8. März 2001 kooperieren die Vereine auch erfolgreich bei öffentlichen Auftritten und Konzerten.

Dennoch ist die Zukunft des Gesangvereins Weil 1836 ungewiss. Der klassische Männergesangverein, den auch der Weiler Gesangverein lange Zeit verkörperte, war d a s Modell des 19. und 20. Jahrhunderts. Wie d a s Modell des 21. Jahrhunderts aussieht, wissen wir noch nicht so genau. Vielleicht wird es statt einem auch mehrere, durchaus unterschiedliche Modelle nebeneinander geben?

In den Verbänden herrscht derzeit aber nicht nur Jammern und Wehklagen, sondern eine fröhliche Aufbruchstimmung. Der Deutsche Sängerbund hat sich vor einem Jahr mit dem Deutschen Allgemeinen Sängerbund, früher Deutscher Arbeiter-Sängerbund, zusammengetan. Jenseits aller ideologischen Grenzen der Vergangenheit - hier bürgerlicher, da arbeiterbewegter Gesang - will der neue gemeinsame Verband überparteilich und weltoffen die Freude am Singen und den Wert des Gesangs fördern. Dazu hat er sich auch einen neuen Namen gegeben: heute heißt er "Deutscher Chorverband". Ein Hintergrund dafür ist, dass man auch vielen Chören, die allzu starre Vereinsstrukturen ablehnen, einen leichteren Zugang zum Verband ermöglichen will.

Mit Stolz und Selbstbewusstsein weist der Deutsche Chorverband darauf hin, mit rund 26.000 Chören, rund 750.000 aktiv singenden Kindern, Jugendlichen, Frauen und Männern sowie 1,8 Millionen Chormitgliedern der weltweit stärkste Laienchorverband mit einem vielfältigen professionellen Weiterbildungsangebot zu sein.

Mit dem Slogan "Gemeinschaft, Leidenschaft, Musik" wirbt der badische Sängerbund als viertgrößter Verband in Deutschland für seine Aktivitäten. Gesang scheint also weiterhin im Trend zu liegen - allerdings ändern sich die Formen, in denen das gemeinsame Singen organisiert wird, die Zielgruppen, und auch das Repertoire.

Selbstbewusst zählen die Verbände auch die Vorteile des Singens auf. Singen fördert den Gemeinschaftssinn. Eine Langzeitstudie in Berlin hat nachgewiesen: Aktives Singen und Musizieren macht Kinder ausgeglichener und selbstbewusster, fördert Sensibilität und sozialen Einsatz - und es verbessert auch die allgemeine Denk- und Konzentrationsfähigkeit.

Singen ist auch gesund. Nicht nur straffe Stimmbänder oder gute Zwerchfellatmung und damit verbesserte Luftzufuhr in die Lungen können wissenschaftlich nachgewiesen werden, sondern beispielsweise auch vermehrte Immunglobulin A-Produktion bei aktiven Chorsängern zur Stärkung der Immunabwehr - neue Argumente für das Singen in einer Zeit, in der Gesundheit und Wellness hoch im Kurs stehen.

Singen und Musizieren gehören zum Menschsein und sind - historisch gesehen - eine der ältesten kulturellen Errungenschaften der Menschheitsgeschichte. Singen und Musizieren hilft, gerade in unserer rational organisierten modernen Gesellschaft,
Gefühle zu empfinden und auszudrücken. Und Singen macht einfach Spaß.

Der Einsatz für den Gesang ist allerdings dringend notwendig, da Singen und klassische Musik in Deutschland in einer Vermittlungskrise stecken. In Familien, Kindergärten und Schulen wurde Singen und Musik stark vernachlässigt. Heute sind nur noch neun Prozent der nachwachsenden Generation begeistert von klassischer Musik, und nicht viel höher ist der Prozentsatz derer, die im Nachwuchsalter aktiv singen oder musizieren. "Wenn wir in der Musikerziehung in Deutschland so weitermachen wie bisher", mahnt der renommierte Dirigent Kurt Masur, "dann wird sich das deutsche Publikum die Beethovensinfonien künftig nur noch von einem chinesischen Orchester anhören können". Ähnliches könnte auch für Chormusik gelten.

Der Deutsche Chorverband will daher 2006 eine öffentlichkeitswirksame Initiative starten, dem aktiven Singen einen festen Platz in der Schule zurückzugeben. Gerade in den Diskussionen um Ganztagesschulen und Nachmittagsaktivitäten sieht er hierfür eine große Chance. Zugleich wollen die Chöre die Älteren nicht aus den Augen verlieren, die tendenziell in den kommenden Jahren immer mehr werden in unserer Gesellschaft.

Mitten in diesen Diskussionen und Umbrüchen steht auch der Gesangverein Weil 1836 e.V. - ähnlich wie damals bei seiner Gründung. Heute wechseln wir nicht von der Agrar- zur Industriegesellschaft und nicht von der Kirchen- zur bürgerlichen Musik. Heute leben wir im Umbruch zur globalisierten Informations-, Dienstleistungs- und Freizeitgesellschaft mit einer noch nie dagewesenen Vielfalt an Musikstilen. Geblieben ist aber die Freude an der Musik.

Mit dem Blick auf den Mut und die Zuversicht der Vereinsgründer, auf ihr selbstbewusstes Lebensgefühl am Beginn des bürgerlichen Zeitalters, mit Fingerspitzengefühl für den Wert von Traditionen und zugleich mit Offenheit für Neues kann der Weiler Gesangverein einen guten, seinen guten Weg in die Zukunft finden - in Kooperation mit Partnern und als weiterhin wichtiger, wertvoller Teil des kulturellen Lebens der Stadt.

In diesem Sinne wünsche ich dem traditionsreichen Gesangverein Weil 1836 e.V. eine lebendige, spannende, in ihren sich wandelnden Formen uns heute gar nicht vollständig bekannte, von Offenheit getragene Zukunft mit begeisterten, jungen und alten Sängerinnen und Sängern und - wie in der Vergangenheit immer wieder - auch mit weiterhin engagierten Chor- und Vereinsverantwortlichen! Herzlichen Glückwunsch zum 170. Geburtstag!