Home
Abteilungen
Jahnhalle
TV-Kurier
Vorstand
Infos
Links










Gesangverein Weil 1836 e.V. - Turnverein Weil 1884 e.V. - Stadtmusik Weil am Rhein

Neujahrsempfang der Altweiler Traditionsvereine am 17. Januar 2004


Anmerkungen zu
120 Jahren Turnverein Weil 1884 e.V.
und zur Rolle der Frauen


Jan Merk

Historiker, in Basel geboren und in Tüllingen aufgewachsen,
nach wissenschaftlichen Tätigkeiten an historischen Instituten und
Museen in Berlin, Freiburg, Basel, Lörrach/Stuttgart und Mosbach am Neckar
seit Ende 2002 Leiter des Markgräfler Museums Müllheim
(und der Geschichte der Altweiler Traditionsvereine seit 5 Jahren verbunden)

 

Sehr geehrter Herr Obrist,
sehr geehrter Herr Büchele,
sehr geehrter Herr Ernst,
sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Dietz,
sehr geehrte Frau Schilling,
meine sehr geehrten Fest- und Ehrengäste!


zuallererst möchte ich mich, zusammen mit den besten Glückwünschen für den Jubilar, den Turnverein Weil 1884 e.V., sehr herzlich bedanken für die freundliche Einladung, hier bei Ihren traditionellen Neujahrsempfang zu Ihnen sprechen zu dürfen. Ich habe mich sehr über diese Einladung gefreut, denn auch für mich ist das schon eine kleine Tradition - vor fünf Jahren durfte ich einige Anmerkungen zur Geschichte der Stadtmusik Weil am Rhein und ihrer Rolle in der badischen Revolution von 1848/49 machen.

Damals kam ich zu Ihnen direkt vom Tüllinger, mitten aus der Mitte des heutigen Oberzentrums Lörrach/Weil am Rhein, heute komme ich zu Ihnen in neuer Funktion vom Markgräfler Museum Müllheim. Das Markgräflerland - und nicht zuletzt die Stadt Weil am Rhein - bietet eine große Vielfalt schöner und vor allem lebendiger Museen, und ich wäre ein schlechter Museumsleiter, wenn ich Sie bei dieser Gelegenheit nicht auch sehr herzlich zu einem Besuch ins Markgräfler Museum einladen würde. Geologie und Archäologie unserer Region, der Weinbau, die bildende Kunst am südlichen Oberrhein und die regionale Geschichte sind dort unsere Themen - und mit dem Stichwort "Regionalgeschichte" kann ich nach diesem kleinen, mir hoffentlich gestatteten inhaltlichen Schlenker auch sofort zum heutigen Thema kommen: 120 Jahre Geschichte des Turnvereins Weil 1884 e.V.

120 Jahre sind kein klassisches rundes Jubiläum, aber doch sind 120 Jahre eine ungeheure Zeitspanne, in der sich sehr viel ereignet hat. In einer kurzen Ansprache kann man diese Zeitspanne nicht umfassend würdigen, kann vor allem auch nicht alle diejenigen Personen gebührend würdigen, die zu Entstehung und stetiger Weiterentwicklung des Vereins beigetragen haben. Ich muss daher gleich zu Beginn dafür um Verständnis bitten, daß ich längst nicht alle Bereiche, die zu einem solchen Anlass Erwähnung finden könnten, auch erwähnen kann und dass ich nur sehr wenige Namen nenne. Das fällt mir etwas leichter deshalb, weil der Verein ja zu seinem 100jährigen Jubiläum 1884 eine sehr schöne Festschrift herausgegeben und diese Chronik auch später fortgeführt hat. Ich will mich hier, in Absprache mit dem Vereinsvorsitzenden Herrn Obrist, ganz bewußt auf einige wenige Themen konzentrieren und Fragen an die Vereinsgeschichte stellen, deren Antworten nicht nur Vergangenheit, sondern vielleicht auch Orientierung für Gegenwart und Zukunft sein können.

Beginnen muss ich jedoch mit "reiner" Geschichte:

Die Anfänge

Haben wir uns überhaupt zum richtigen Zeitpunkt hier versammelt, um 120 Jahre Turnverein Weil 1884 e.V. zu feiern?

Ich war zunächst doch etwas verunsichert, als ich mich zum ersten Mal mit der etwas verworrenen, komplizierten Gründungsgeschichte Ihres Vereins auseinandergesetzt habe. Längere Zeit galt das Jahr 1897 als Gründungsjahr, und folglich wurden hier in Weil 1907, 1922 und 1927 entsprechende Jubiläumsfeiern abgehalten. Erst danach wurde man darauf aufmerksam, daß es sich 1897 um die Wiedergründung eines Vereins handelte, dessen Vorläufer bereits 1884 bestand.

Damals hatten 14 junge Männer einen Turnverein gegründet, der sich auf dem Platz hinter der Kirche - also mitten im Ort - zu einer ersten Turnstunde versammelte. Ein Klettergerüst und ein Reck standen damals als Geräte zur Verfügung. Viele dieser aktiven Turner, die fast alle dem Jahrgang 1865 angehörten, wanderten jedoch in den wirtschaftlichen Krisenzeiten der 1880er Jahre nach Amerika aus. So ist wohl eine kurzzeitige Pause im Vereinsleben und dessen Wiedergründung 1897 zu erklären.

Doch die Verwirrung über das Gründungsdatum ist damit noch nicht komplett. Spätere Vereinschronisten fanden heraus, daß schon 1883 ein Weiler Turnverein am Schlußturnen des Lörracher Vereins und später an einem Schauturnen in Brombach teilgenommen hat. Eine Liste des Vereinsvorstandes und der Gründungsmitglieder ist uns - nach bisheriger Quellenlage - aber erst für 1884 überliefert.

Daher hat sich der Verein dazu entschieden, das offizielle Gründungsdatum auf das Jahr 1884 festzulegen. Zugleich aber darf daran erinnert werden, daß es zumindest im Jahr 1883 auch schon eine Vorgeschichte gab. Darum gibt es keinen besseren Zeitpunkt als gerade den Neujahrsempfang zum Jahreswechsel 2003/2004, um gebührend an die 120jährige Tradition des Weiler Turnvereins zu erinnern.

Aufbruch in einer Umbruchzeit

Heute ist Sport für uns ein selbstverständlicher Bestandteil unseres täglichen Lebens, und wir können uns nur schwer vorstellen, daß es den Sportteil in der Tageszeitung, daß es den Schulsport, daß es Sport-Großereignisse, daß es die Sportberichterstattung im Fernsehen, daß es Sportstars nicht gibt. Sport ist - ob Breiten- oder Spitzensport - allgegenwärtig. Sport ist Freizeitbeschäftigung, Sport ist ein Wirtschaftsfaktor, Sport gehört zu unserer modernen Leistungsgesellschaft, Sport kann beitragen zur Integration oder zur Separierung unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen, Sport ist auch Politik. Im Blick auf den gewaltigen Aufstieg aller sportlichen Betätigungen im 19. und 20. Jahrhundert quasi aus dem Nichts hat ein Historiker deutlich formuliert: "Sport ist zu einer Macht geworden".

Das war vor 120 Jahren ganz anders. Zwar gab es in Europa schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts erste Ansätze, "Leibesübungen" zu propagieren, doch das beschränkte sich aus wenige Orte - es waren eben nur erste Ansätze. Unter dem Einfluß Rousseaus und Pestalozzis wurde ab 1807 in der Schweiz geturnt, 1819 entstand der Bürgerturnverein Basel, der viele Jahrzehnte später, 1882, wesentlich an der Gründung des Markgräfler Turngaus beteiligt war. In Deutschland schuf 1811 Friedrich Ludwig Jahn, eine Symbolfigur, auf der Hasenheide in Berlin eine erste öffentliche Sportstätte. 1844 wurde der Freiburger Turnverein gegründet, der jedoch bald daruf vorübergehend wieder verboten wurde, nachdem sich etliche Mitglieder als frühe Demokraten an der badischen Revolution von 1848/49 beteiligt hatten.

Lange Zeit waren der fürstlichen Obrigkeit Vereinsgründungen suspekt. Erst ganz allmählich erfolgte vor Ort der Übergang von der noch mittelalterlich geprägten Ständegesellschaft des Agrarzeitalters, in der das gesamte gesellschaftliche Zusammenleben nach jahrhundertealten, kaum verrückbaren Regeln festgelegt war, zur freieren Bürgergesellschaft des Industriezeitalters, in der den Bürgern nach und nach auch eine Selbstorganisation zu selbst gewählten Zwecken und nach selbst gewählten Regeln zugestanden wurde.

Daß das 19. Jahrhundert dennoch als ein ausgesprochen "vereinsseliges Säkulum" gilt, liegt am Vereingründungsboom der zweiten Jahrhunderthälfte. Unser heutiges soziales Leben basiert zu großen Teilen auf diesen Vereinsgründungen: von Sparkassen zu Aktiengesellschaften, von Versicherungen zu politischen Parteien, von Berufsverbänden zu Musik- und Gesangvereinen, von Kulturförderkreisen zu religiösen Gemeinschaften.

In diese Entwicklung ist auch der rasante Aufschwung der Turnvereine einzuordnen. Nach 1850 entstand die "Deutsche Turnerschaft" als Zusammenschluß einzelner Vereine in den noch sehr zersplitterten deutschen Territorialstaaten. Erste Vereine im Markgräflerland wurden in Lörrach, Schopfheim, Haagen, Säckingen und Zell im Wiesental gegründet. 1869, als es den Weiler Turnverein noch nicht gab, gehörten der "Deutschen Turnerschaft" rund 1.500 Vereine mit 128.000 Mitgliedern an, 1904 zählte man bereits eine ¾ Million Mitglieder (darunter nun etliche Weiler), 1914 - nur 10 Jahre später - waren es dann doppelt so viele, rund 1 ½ Millionen Mitglieder. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts hatte sich dann auch das Turnen als Regelfach an den Schulen im deutschen Kaiserreich durchgesetzt - anfangs mit bescheidener Stundenzahl und im Übrigen auf Druck von namhaften Medizinern, aber auch von einflußreichen Militärs.

Doch diese allgemeine Entwicklung sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass jeder Anfang vor Ort oft ausgesprochen zäh und mühsam war. Auch in Weil gab es nicht nur allgemeinpolitische Vorbehalte und staatliche Beschränkungen, von denen Ludwig Keller anschaulich in der Geschichte der Stadt Weil am Rhein berichtet:

"Man sah in dem damals kaum 2000 Einwohner zählenden Rebdorf mit gemischten Gefühlen auf die 14 Mann, die sich im Jahre 1884 zusammentaten, um sich dem Turnen im Geiste (Friedrich Ludwig) Jahns zu widmen. Wozu ein Turnverein? Haben wir in unseren Reben und auf den Feldern nicht genug Gelegenheit zu körperlicher Betätigung? So ertönten allerorts die fragenden Stimmen. Auch die Gemeindeverwaltung zeigte für die Neuerung kein Verständnis, und verschiedene Gesuche um die Überlassung eines Turnplatzes wurden abgelehnt. So turnte man zunächst in den Wirthausgärten: beim Adler und Schwanen, bei der Traube und hinter der Sonne. Im Winter aber war man auf die Lokale dieser Gasthäuser angewiesen."

Entwicklung in einem bewegten Jahrhundert

Trotz zahlreicher Widerstände, Widrigkeiten und Rückschläge hat sich der Turnverein Weil 1884 e.V. in einem sehr bewegten 20. Jahrhundert zu einem der "ältesten, zugleich verdienstvollsten Turnvereine im Markgräfler Land" entwickelt, wie dies eine Überblicksdarstellung über unsere gesamte Region aus dem Jahr 1953 zu Recht feststellt. Fanden sich 1884 14 Turner zusammen, hat der TV Weil 2004 rund 1000 Mitglieder. Einige wenige Schlaglichter aus dieser Entwicklungsgeschichte möchte ich im Folgenden herausgreifen.

Lang und von großem Vereinsengagement geprägt war der Weg zu eigenen Sportstätten. Das gilt für den Turnplatz, den der Verein 1912 erwerben konnte. Nach schweren Kriegs- und Nachkriegsjahren konnte der TV dann 1922 aus eigenen Mitteln und mit viel Eigeninitiative eine bescheidene Turnhalle bauen. In den Vereinschroniken gewürdigt, und manchen von Ihnen noch in eigener lebendiger Erinnerung, erfolgte dann nach dem Zweiten Weltkrieg 1954/1955 der Bau der heutigen Jahnhalle. Der Bedarf war da, denn der Verein wuchs auch durch das Entstehen neuer Abteilungen. War schon 1910 die Faustballabteilung gegründet worden, entstanden in den Nachkriegsjahren Abteilungen für Basketball und Volleyball.

Eine kurze nähere Betrachtung verdienen auch die Jahre 1920 und 1921, die Jahre nach dem Ersten Weltkrieg, in denen in Weil heftig um die politische Ausrichtung des Vereins gerungen wurde. Ergab sich 1920 im Turnverein eine Mehrheit für den Beitritt zur Arbeitersportbewegung, die vor allem in Friedlingen und auf der Leopoldshöhe viele Anhänger hatte, wurde diese Entscheidung im Jahr darauf mit dem Wiedereintritt in den bürgerlich geprägten Markgräfler Turngau, betrieben vor allem von Altweiler Vereinsmitgliedern, rückgängig gemacht.

Hier ist nicht der Ort, näher auf diese spannenden Ereignisse einzugehen. Es sei nur angemerkt, dass auch der Turnverein Weil immer wieder vor gesellschaftlichen Integrationsaufgaben stand, die er in diesem Fall in den politisch turbulenten 1920er Jahren wohl gar nicht hätte lösen können. Auch die Frage, inwieweit das Frauenturnen allmählich selbstverständlicher Bestandteil eines Vereins wird, oder die Frage, wie in unseren immer internationaler werdenden Städten heute unterschiedlichste Bevölkerungsgruppen durch Vereinsmitgliedschaft oder Vereinskooperation ein Stück weit integriert werden können, gehört zu den Herausforderungen - und beim Gelingen zu den wertvollen Leistungen - der Vereinsarbeit.

Ebenfalls nur antippen kann ich Fragen, die für einen Verein mit 120 Jahren Geschichte in den unterschiedlichsten politischen Systemen mit den unterschiedlichsten Rahmenbedingungen für die Vereinsarbeit entstehen: da wäre zu berichten von der ideologischen Vereinnahmung des Turnens für politische Zwecke, von der Gründung einer kurzzeitigen "Jugendwehr" zur militärischen Vorerziehung in der Zeit des ersten Weltkriegs, von Gleichschaltung und Führerprinzip im Dritten Reich, vom Tod vieler Vereinsmitglieder in den Weltkriegen, von der Wiedergründung unter demokratischen Vorzeichen 1950 und von vielem anderen mehr. All das erfordert differenzierte Betrachtung - ein lohnendes Feld für eine ausführlichere Vereinsgeschichte in Zukunft.

In 120 Jahren gab es Gefährdungen für den Verein und seine selbstgewählten Ziele und Ideale - und es gab Chancen. Das führt mich zu einem weiteren Themenfeld: Der Rolle der Frauen im TV Weil.

Frauen im Turnverein Weil 1884

"Der Sport", so der Historiker Thomas Nipperdey, anfangs eine reine Männersache, "hat auch die Frauen ergriffen und dazu beigetragen, Ihre Position langsam zu verändern." Dabei ist eine gesellschaftliche Differenzierung wie auch bei den Männersportarten zu beobachten. Im Deutschen Kaiserreich galten Tennis und Reiten in der Oberschicht, Schlittschuhlaufen, Radfahren, teilweise auch Schwimmen in der mittleren Schicht als gesellschaftsfähig. Frauen aus den unteren Schichten hatten ohnehin kaum freie Zeit und begannen sich, wenn überhaupt, vor allem in der rasch an Bedeutung gewinnenden Arbeitersportbewegung zu organisieren.

Die ersten bürgerlichen deutschen Turnvereine führten ab 1889, meist in den größeren Städten, "Damenabteilungen" ein. Das liegt also, anders als die Turnvereinsgeschichte in Weil, noch keine 120 Jahre zurück. Doch das Wachstum dieser "Damenabteilungen" gestaltete sich überschaubar. 1914 zählten sie erst rund 75.000 Mitglieder, was einem Anteil von 5 % aller Mitglieder der "Deutschen Turnerschaft" entsprach.

Die Rollenbilder der bürgerlichen Gesellschaft, nach denen die Frau Familie und Haus und der Mann die Erwerbstätigkeit außer Haus mit den dazugehörigen gesellschaftlichen Kontakten und Einflussnahmen zu besorgen hatte, hatten ihre Wirkung entfaltet.

Nicht selten wurden die Frauen im 19. Jahrhundert auch von Positionen zurückgedrängt, die sie vordem selbstverständlich übernommen hatten. Das gilt für das Wirtschaftsleben, etwa ihre Rolle in landwirtschaftlichen und handwerklichen Familienbetrieben, das gilt teilweise auch für ihren Rechtsstatus, das gilt aber auch für ihre Rolle in den neu entstehenden Vereinen.

Ein kleines Beispiel ist die Entstehung der freiwilligen Feuerwehren, zunächst eine reine Männersache. Bis zur Gründung dieser Vereine war das Feuerlöschen jedoch eine allgemeine Pflicht - im Markgräflerland hatten Frauen im Brandfall wassergefüllte Ledereimer, Männer wassergefüllte Weinbütten mitzubringen.

Auch im Turnverein Weil dauerte es lange, bis 1922, ehe eine "Damenriege" gegründet werden konnte. Und man kann sich vorstellen, dass diese Neugründung - ähnlich wie die Neugründung des Turnvereins durch 14 Männer einige Jahrzehnte zuvor - in Weil selbst auf viel Skepsis und Unverständnis gestoßen ist. Wie willkommen das Angebot des Frauenturnens jedoch bei den Betroffenen, nämlich den Frauen, war, zeigt die Tatsache, dass sich sofort 34 aktive und 8 passive Frauen als Mitglieder zusammenfanden.

Diese eigene Damenriege war ein großer Schritt nach vorne, auch wenn Frauen im inneren Vereinsleben und im Umfeld des Vereins auch schon zuvor nicht wegzudenken waren: ihre Tätigkeit blieb jedoch lange auf die Mitwirkung bei Familienabenden, Arbeiten an der Verschönerung der Vereinsfahne, Führen des Vereinsfotoalbums und ähnliches beschränkt. Auch jetzt, nach Gründung der Damenriege, war es keine Frage - der Frauenturnwart war männlich.

Der Anfangsschwung der Damenriege unterlag in der Folgezeit Schwankungen, über die wir, obwohl hochinteressant, fast keine Quellen besitzen. Unter den Vorzeichen des Dritten Reiches erfolgte am 7.10.1935 die Gründung einer "Frauenabteilung".

Den eigentlichen Aufschwung, und ein eigenes Profil, entwickelte das Frauenturnen in Weil jedoch erst in der Nachkriegszeit. Wenige Wochen nach der Neugründung des Vereins wird im März 1950 die Frauenriege neu aufgebaut, zunächst unter der Frauenturnwartin Emma Paolini, ehe 1953 die über dreißigjährige Ära von Thilde Käfer beginnt.

Zwei Entwicklungen sind in diesem Zusammenhang zu nennen: zum einen die eigenständige Ausrichtung des Frauenturnens, nicht nur eine Imitation des stark leistungsorientierten klassischen Männerturnens an den Geräten: es entstanden Turnangebote für jede Frau und jedes Alter. Mutter-Kind-Turnen, Schülerinnen-Turnen, Frauenturnen und Hausfrauengymnastik, Seniorengymnastik und Jazztanz sind die Stichworte.

Zum anderen: dieses Angebot wurde in großem Umfang und kontinuierlich angenommen. Es entstanden breitensportliche Abteilungen im besten Sinne, und der Vereinsüberlieferung ist zu entnehmen, dass Thilde Käfer als "Aushängeschild" werbend genau für diese Entwicklung stand. Vor und nach Ihrem Ausscheiden 1984 hat sie engagierte Mitstreiterinnen und Nachfolgerinnen gefunden.

Auch hier vergisst man im Rückblick leicht die Widerstände und Bedenken, die manchmal selbst kleinste Neuerungen in einer traditionsorientierten Vereinsorganisation hervorgerufen haben. Und natürlich ist diese Entwicklung im Turnverein Weil auch Spiegelbild der allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklung der letzten Jahrzehnte - andererseits muss betont werden, dass keine gesellschaftliche Entwicklung zustande kommt, ohne dass sich konkrete Persönlichkeiten vor Ort engagiert dafür einsetzen.

Heute liegt der TV Weil mit mehr weiblichen als männlichen Mitgliedern im Trend. Frauen stellen die Mehrheit im Vorstand, und es gibt sogar eine locker organisierte "Frauenpower"-Gruppe. Vieles ist also erreicht worden in den vergangenen Jahrzehnten; manches, was den Vereinsgründern vor 120 Jahren völlig unvorstellbar erschien. Und dennoch bleibt deutlich zu betonen: bis zu einem wirklich gleichberechtigten Miteinander in allen Bereichen des Vereinslebens bleibt noch viel zu tun.

Auch hier unterscheidet sich das "Vereinsinnenleben" nicht gravierend von der generellen Entwicklung in unserer Gesellschaft.

Zum Schluß

Vieles könnte man zu Recht noch ausführen. Aus Zeitgründen habe ich nicht gesprochen
" über die zahlreichen sportlichen Erfolge, die der Verein zu unterschiedlichen Zeiten bei lokalen, regionalen, auch überregionalen Veranstaltungen vorzuweisen hat,
" über das rege "Vereinsinnenleben", etwa den Spielmannszug,
" oder über die für einen Markgräfler Verein naheliegenden "Weinmusterungen", die eine Zeit lang feste Vereinstradition waren, und an die die Veranstalter heute mit der Präsentation von Altweiler Weingütern beim Neujahrsempfang erfreulicherweise anknüpfen.

Und viele Namen - ich betone es noch einmal - müsste man noch nennen, etwa die 17 zum Teil jahrzehntelang engagierten Vereinsvorstände. Jedes Vereinsmitglied könnte für sich selbst berichten, welchen Wert und welche Bereicherung das Vereinsleben für sein (und ihr) eigenes, ganz persönliches Leben hat - nicht nur hunderte, sondern tausende einzelner Geschichten, die untrennbar mit der Geschichte von 120 Jahren Turnverein Weil 1884 e.V. verbunden sind.

Meine Aufgabe heute war es, einzelne Aspekte der Geschichte des Weiler Turnvereins in allgemeinere Zusammenhänge zu stellen und - hoffentlich - zu zeigen, daß die Beschäftigung mit Geschichte durchaus spannend und lohnend sein kann. Ich habe versucht, etwas von dem zu verdeutlichen, was die historischen Entstehungsbedingungen von Turnvereinen in unserer modernen Lebenswelt, und auch, was ihre großen Chancen sind - zum Beispiel für die Entwicklung der Position der Frauen.

In einer Umbruchzeit vor 120 Jahren, am Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft, ist der Turnverein Weil 1884 e.V. gegründet worden - als Chance für viele, in unserer modernen Lebenswelt mit vielen äußeren Zwängen in bürgerschaftlicher Selbstorganisation den persönlichen Gestaltungsspielraum sinnvoll und aktiv zu erweitern. Nicht zuletzt mit diesen Freiräumen hängt die große Anziehungskraft, die enorme Attraktivität, ja der wahre "Siegeszug" des Sports in den vergangenen anderthalb Jahrhunderten zusammen.

Auch in unserer heutigen Umbruchzeit hin zur mobilen, flexiblen, sich ständig dem selbstgeschaffenen technischen Fortschritt anpassenden, global orientierten Dienstleistungsgesellschaft wird ein solcher Verein - vielleicht mit der einen oder anderen Neuerung - seine Notwendigkeit, seinen Sinn behalten.

Dass der Turnverein Weil 1884 e.V. in den vergangenen 120 Jahren vielen Menschen die Möglichkeit zur Gestaltung eines Freiraums gegeben hat, das ist ein Grund zum feiern!

Und oft beschränken sich diese selbstgeschaffenen Freiräume in der Wirkung nicht auf den Sport allein. Ein Beispiel, wie Impulse auch vom Sport für großes, umfangreiches gesellschaftliches Engagement in anderen Lebensbereichen ausgehen können, würdigen Sie ja heute mit der erneuten Verleihung des Giuseppe-Indri-Preises.

Darauf freue ich mich und danke Ihnen sehr für Ihre Aufmerksamkeit!