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Vereinsgeschichte










Turnverein Weil 1884 e.V. - 125 Jahre

Festakt aus Anlass des 125jährigen Jubiläums des TV Weil
Ansprache von Oberbürgermeister Wolfgang Dietz aus Anlass des Festaktes am Samstag, 20. Juni 2009, 17.00 Uhr

Sehrt geehrter Herr Vorsitzender Obrist,
liebe Mitglieder des Turnverein Weil 1884 e.V.,
liebe Freunde des Turnsports,

Wie gratuliert man im Jahr 2009 einem Verein zu seinem 125jährigen Jubiläum, wenn der Verein im Jahr 1922 sein 25jähriges Bestehen begangen hat? Ist das nur eine misslungene Rechenübung oder muss man sich darüber den Kopf zerbrechen?
Zunächst ist das ja nur für diejenigen problematisch, die das Rechenkunststück bemerken wie aus den 87 Jahren, die seit 1922 bis heute vergangenen sind, plötzlich100 Jahre werden! Aber das ist nur die rein mathematische Betrachtung, die ich mir angesichts des Berufes Ihres aktuellen Vereinsvorsitzenden Uli Obrist erlaube.
Gewichtiger sind da schon die tatsächlichen Umstände, die im Laufe der Vereinsgeschichte zu diesem ungewöhnlichen Zustand geführt haben. Aufschluss geben die Vereinsanalen°, die erstmals 1934 die Umstände für das zunächst unpräzise Gründungsjahr festhalten. In den folgenden Jahren feierte der TV Weil seine Jubiläen mit 1884 als Ausgangsdatum.

Es ist nicht völlig ungewöhnlich, wenn Städte plötzlich entdecken, dass sie eigentlich viel älter sind als bislang angenommen - weil man entweder bislang unbekannte Dokumente und Urkunden entdeckt oder weil archäologische Grabungen neue Aspekte zum Vorschein bringen. Die Stadt Kandern hat in diesen Tagen ihre diesbezügliche Erfahrung publiziert, so dass jetzt möglicherweise sogar der städtische Gedenkstein umgeschrieben werden muss.

Schließlich gibt es neben dem mathematischen und dem historischen noch einen dritten Aspekt. Er wird in der Kombination von "Alt-Weil" und "TV" besonders gewichtig, gerade wenn es um ein Jubiläum geht. Der Aspekt heißt: die Alt-Weiler feiern gerne! Selbst ein vager Anlass wäre immer noch genug, um dem Rebensaft zuzusprechen, getreu dem Mott: "'S bescht isch ä Fescht!" oder "lieber eimol z'viel gfiieret als eimol vergässe".

Und so will ich es - auch um weiteren Forschungen hinsichtlich der tatsächlichen Ursprünge des TV Weil Platz zu lassen - mit dieser Eingangsbetrachtung bewenden lassen und zum wesentlichen Kern kommen:
Gemeinschaft zu erleben wie bei einem Fest, gehört zu den zentralen Erfahrungen in jedem Verein, gerade auch in einem Sportverein. Gemeinschaft zu erleben, war wichtig im Zeitpunkt der Gründung des TV Weil im Jahr 1884 - oder sei es auch schon 1883 worauf andere Quellen hindeuten. Und solche Gemeinschaftserlebnisse sind auch heute von großer Bedeutung.

Wir alle haben im Jahr 1884 nicht gelebt. Unsere Vorstellungen von jenen Jahren stammen aus Geschichtsbüchern oder aus Erzählungen von Großeltern. Deshalb ist es vielleicht schwierig sich jene Lebensumstände vorzustellen, die in Weil (das "am Rhein" kam erst mit der Stadterhebung 1929 in den Stadtnamen), im Deutschen Reich und in unserer Grenzregion damals bestanden.
In der Tschamber-Chronik unserer Stadt findet sich ein bemerkenswerter Hinweis (S. 169) über die Zeitumstände, der uns eine gewisse Vorstellung darüber geben kann wie die Menschen seinerzeit lebten. Es heißt dort: "Bis zum Jahr 1884 wandelten die Weiler abends auf dunklen Straßen. Im Dezember des selben Jahres wurden die Ortsstraßen erstmals durch 18 Petroleumlampen beleuchtet".
Wie sah die Welt in Weil aus im Jahr der vermeintlichen Vereinsgründung: keine Straßenlaternen, keine Autos und keine Traktoren, keine Radios, keine Fernseher, kein Kino, keine Telefone und schon gar keine Handys, keine i-pods, keine Computer, keine emails, keine Waschmaschinen, keine Geschirrspüler, keine Haarföne, kein Fußballplatz, kein Shopping-Center, keine Pizzarien, keine Döner-Stände, keine städtische Sporthalle, kein Freibad und keine Wildwasserrutsche. Noch nicht einmal 2.000 Einwohner gab es rund um den Lindenplatz, Katholiken waren allenfalls als "Exoten" gerade noch so geduldet. Türkische und italienische Staatsbürger gab es schon, aber nur in ihren Heimatländern. Öffentliche Wasserleitungen (erst 1896) existierten nicht, aber auch keine Schlaglöcher, denn die Dorfstraßen glichen in Ermangelung einer Pflasterstein- oder Asphaltdecke eher einem einzigen, großen, lang gezogenen Schlagloch.
Das Leben war hart und entbehrungsreich. Landwirtschaft und Weinbau waren Handarbeit, industrielle Fertigung wie etwa in der gerade zuvor gegründeten Färberei auf der Schusterinsel (1880/82) - der Vorläuferin der späteren "Färberei und Appretur Schusterinsel GmbH" - war Knochenarbeit.
Jungen Menschen unserer Tage müssen diese Lebensumstände wie die Schilderung des tiefsten Mittelalters vorkommen. Das gilt aber nur für die Äußerlichkeiten wie die Existenz bestimmter technischer Produkte oder kommunaler Infrastrukturen. Das Bedürfnis nach Gemeinschaft, nach der Pflege eines gemeinsamen Zeitvertreibs oder Hobbys wie man später sagte war offensichtlich vorhanden. Das ganze Deutsche Reich erlebte in den Jahrzehnten nach dem deutsch-französischen Krieg von 1870/71 und der Reichsgründung ein Aufblühen von Vereinen und Organisationen. Die Welle der Industrialisierung schwappte über das Land. Eine Welle von Unternehmensgründungen, aber auch von Vereinsgründungen war die Folge. Nicht umsonst spricht man von den Gründerjahren des 19. Jahrhunderts.

Ich finde es angesichts der Härte der Lebensumstände - die 35 Stundenwoche war am Mittwoch schon erreicht! - noch heute höchst bemerkenswert, wie Menschen sich unter diesen Bedingungen Zeit nahmen, um sich in ihre Freizeit körperlich zu betätigen, Sport zu treiben und sich mit Geräteturnen zu befassen. Es zeigt mir aber auch, dass Menschen per se Freude an der Bewegung und an der Gemeinschaft haben. Darin unterschieden sich also unsere Vorväter nicht von unserer heutigen Situation. Die Frauen kamen erst später zum Turnverein. Und sie haben in der Folge, gerade in den vergangenen Jahrzehnten, viel für die Entwicklung des TV geleistet. Das gibt mir Gelegenheit zu einem besonderen Gruß heute Abend an die vielen Frauen, die im Turnverein Weil, aber auch in vielen anderen Sportvereinen zum Teil seit Jahrzehnten ganz selbstverständlich Verantwortung übernommen haben. Ohne sie, meine Damen, wäre unsere Vereinslandschaft beträchtlich ärmer und eintöniger und schon gar nicht so bunt: Hallo Powerteam!

Der innere Antrieb war es auch, der den Turnverein Generation für Generation die Turbulenzen der Zeit überstehen ließ. Wiederbegründungen und Neuausrichtungen waren notwendig, zuletzt nach dem Zweiten Weltkrieg. Neue sportliche Abteilungen entstanden, andere Sparten wurden aufgegeben. So ging der TV mit der Zeit, entdeckte neue Gruppen, bietet heute ein breites Spektrum an Aktivitäten, Betätigung für Senioren, für Kinder, für Behinderte, für Faust- und Basketballer, für Jedermänner und Jederfrauen, für Tänzerinnen und Tänzer usw.. Der Phantasie sind offensichtlich keine Grenzen gesetzt. Und mancher Alt-Weiler des Jahres 1884 würde sich wohl verwundert die Augen reiben, wenn er eine stattliche Zahl von Personen mit teleskopartig ausfahrbaren Stöcken, die er wahrscheinlich für metallene Rebstöcken halten dürfte, über Feld und Flur zwischen Mühlenrain und Nonneholz einher walken sehen würde.

Sportliche Trends zu erkennen und seinen Mitgliedern anzubieten, ist dem TV Weil namentlich in den vergangenen Jahren sehr gut gelungen. Dadurch entstanden und entstehen immerfort neue Bindungen der Mitglieder untereinander. Das alles geschah und geschieht, ohne auch traditionelle Sportarten zu vernachlässigen. Faustball beispielsweise ist beim TV Weil eine zugleich traditionelle, gleichwohl - besieht man sich die Sportlerriege - eine junge Sportart. Wie so oft - und das gilt für geradezu alle Vereine - hängen Ausrichtung und Erfolg eines Vereins an einzelnen Personen, an der Chemie der Akteure untereinander und an glücklichen Umständen. Alles dieses ist beim aktuellen TV Weil gegeben. Nur so lassen sich ein beispielhafter Internetauftritt oder die höchst gelungene Chronik zum 125-Jahr-Jubiläum erklären. Ich wünsche dem Verein diese personellen Konstellationen mit immer wieder neu eintretenden Verantwortungsträgern auch in der Zukunft.

Ein Wort zur Bedeutung des TV unserer Stadt: Gemeinschaftssinn und Verwurzelung in der städtischen Gesellschaft waren es auch, die dem Verein seine erste Turnscheune und später die Jahnhalle beschert haben. Gerade die Jahnhalle, deren 50jähriges Bestehen wir 2005 gefeiert haben, ist zu einem Nukleus des Vereinslebens geworden. Und darüber hinaus. Dank der Verbundenheit von Personen, die sowohl aktive Kräfte im Vereinsleben des TV Weil waren und sich zugleich in der Gemeindepolitik engagierten, haben wir den guten Umstand, dass auch andere Vereine unserer Stadt, aber auch die politische Gemeinde die Jahnhalle für ihre Veranstaltungen nutzen können. Das nützt dem Turnverein im Sinne einer Vermietung und Auslastung und es nützt den übrigen Vereinen und Organisationen in der Stadt.

Die Symbiose zwischen Turnverein und politisch-sozialer Gemeinde ist ein besonderes und ein wohltuendes Markenzeichen in unserer Stadt. Denn gäbe es die Jahnhalle nicht, die Kernstadt wäre der einzige Ortsteil unserer Stadt ohne eigene Halle. Deshalb hat sich die Stadt auch stets als Partner verstanden wie bei der jüngsten und gut gelungenen Renovation der Jahnhalle.

Der TV Weil hat aus meiner Sicht durch seine hohen Eigenleistungen und großen Anstrengungen einmal mehr ein Beispiel gesetzt. Der öffentlichen Hand fällt es bei knappen Kassen nämlich viel leichter, Ausgaben in der Abwägung zu anderen ebenfalls angemeldeten Bedürfnissen unterschiedlichster Gruppen zu rechtfertigen, wenn sie durch einen gewichtigen Eigenbeitrag des Vereins unterstützt werden.

125 Jahre TV Weil sind Anlass mit Zufriedenheit und Dankbarkeit zurück zu blicken auf einen sehr lebendigen Teil des Vereinswesens unserer Stadt. Es ist mir ein aufrichtiges Anliegen, den derzeitigen Amtsinhabern, aber auch allen ihren Vorgängerinnen und Vorgängern in der Verantwortung für den TV ein öffentliches Dankeschön für ihr Engagement zugunsten der sportlichen Gemeinschaft und darüber hinaus in unserer Stadt zu sagen. Gemeinschaftsgeist zu pflegen und sich darauf verlassen zu können, sind für mich tragende Säulen eines lebendigen Gemeinwesens.

Der Inhalt dieses Rückblicks erlaubt es, mit Optimismus und Zuversicht die Gegenwart zu beurteilen und die Zukunft einzuschätzen. Lassen Sie uns alle dazu beitragen, Menschen für ein solches Unterfangen zu gewinnen. Im TV Weil kann man beobachten, welche guten Früchte das trägt.
Namens des Gemeinderates der Stadt, der Stadtverwaltung und ganz persönlich gratuliere ich dem TV Weil zu seinem Jubiläum - sei es nun das 125. oder gar das 126. Jahr des Vereinsbestehens wie es in der Chronik des TV aufgrund eines Auftritts bei einem Turnereignis in Lörrach angedeutet wird. Anlass zum Feiern besteht nicht nur im Jahrestag - Anlass zum Feiern besteht aufgrund der außerordentlichen Vereinsleistung über einen solch langen Zeitraum.

Fußnote:
° Laut einem Büchlein des im Jahre 1862 gegründeten Turnvereins Lörrach wird der "Weiler Turnverein" bereits im Jahre 1883 zu deren Schlußturnen eingeladen und im selben Jahre bei der am 9. September in Brombach gefeierten Fahnenweihe heißt es in einem Zeitungsbericht: "Das Schautumen, bestehend in Übungen am Reck, Barren und Pferd, Stabhochsprung etc. förderte durchweg ziemlich gute Leistungen zu Tage und verdient namentlich erwähnt zu werden, ebenso die Aufstellung der Pyramiden durch den erst vor kurzem gegründeten Turnverein Weil!!!"
Bis zum Jahre 1934 galt gar das Jahr 1897 als Gründungsjahr, so daß folgende Jubiläen im Vereinskalender erschienen:
28. August 1907 10 jähriges Jubiläum
26. 28. August 1922 25 jähriges Jubiläum
20./21. August 1927 30 jähriges Jubiläum
Erst danach wurde man auf den Irrtum aufmerksam und verlegte die Gründung auf das Jahr 1884.